Lamprohiza Anhang
Zeit-Online
Das unterschätzte Tier
Glühwürmchen lassen nichts anbrennen
Sie ernähren sich von Luft und Liebe, riskieren für eine Liebesnacht den Tod und leuchten.
"Sie strahlen einen wunderbaren, gewissermaßen Erdsternen nachahmenden Glanz aus, welcher mit einer Laterne und dem Monde hinsichtlich der Helligkeit zu wetteifern scheint", schreibt
Alfred Brehm in seinem Tierlexikon.
So viel Poesie für was? Ein Insekt. Ein krabbeliger schwarz-brauner Käfer, vor dem bei Tageslicht vermutlich vorzugsweise kleine Mädchen schreiend davon laufen würden. Fälschlicherweise wird der Käfer oft als Wurm bezeichnet, aber auch Wurm klingt nicht viel poetischer als Käfer. Dennoch hat es das Glühwürmchen als Protagonist in ein Gedicht von Friedrich Gottlob
Klopstock geschafft.
Dabei hat es eigentlich nicht nur die Beachtung von Dichtern verdient, sondern schafft etwas, worum es Scharen von Ingenieuren – allen voran Thomas Edison – beneiden sollten: Es leuchtet.
Zwar ist es nicht das Hellste (eine Kerze ist 1000-mal heller), aber dafür ist das Glühwürmchen einzigartig effizient. Während jede Glühbirne nur 5% ihrer Energie in Form von Licht und den
Rest als Wärme abgibt, ist es bei den Lampyridae genau umgekehrt: 95% der erzeugten Energie geben sie in Form von Licht ab – eine Effizienz, die bislang noch keine künstlich hergestellte Lichtquelle geschafft hat.
Überhaupt: Leuchten! Nicht einfach Fluoreszenz (Medus.)/Phosphoreszenz (Klebesterne über dem Kinderbett)/Biolumineszenz = damit die eigene Lampe angeht, müssen sie nicht erst von
der Sonne aufgeladen oder angestrahlt werden. Etwas, was kein anderes an Land lebendes Tier als das Glühwürmchen kann.
Biolumineszenz ist die Fähigkeit von Lebewesen, über eine chemische Reaktion in ihren Zellen Licht zu erzeugen. Dabei setzt das Enzym Luciferase den Stoff Luciferin um. Als Nebenprodukt
dieser Reaktion entsteht Licht. Diese Reaktion können die Käfer an- und ausschalten, sodass sie nicht durchgehend leuchten.
Die Zellen der Glühwürmchen erzeugen also eigenständig Licht. Das unterscheidet die zur Bioluminiszenz fähigen Insekten von anderen Tieren, die nur die Kunst der Phosphoreszenz und Fluoreszenz beherrschen. Letztere leuchten nur, wenn sie zuvor mit Licht bestrahlt wurden.
Aber nicht nur die ausgewachsenen Käfer leuchten, sondern schon die Eier und Larven sind zur Biolumineszenz fähig.
Die Leuchtzellen, die Laternen genannt werden, befinden sich immer dicht unter der Oberfläche, können aber über den gesamten Körper verteilt sein. Nach innen sind die Laternen mit
Salzkristall-Schichten abgeschirmt, die das Licht körperauswärts reflektieren. Diese spiegelnde Schicht macht die Glühwürmchen zu so effizienten Lichtquellen.
Was im Volksmund "Glühwürmchen" heißt, bezeichnen Insektenforscher als Leuchtkäfer (Lampyridae). Diese Insektenfamilie gibt es fast überall auf der Welt. Glühwürmchen gelten als
Indikatoren für funktionierende Ökosysteme: wo sie leben, ist die Natur noch im Gleichgewicht.
Von Art zu Art ist es abhängig, ob beide Geschlechter fliegen oder leuchten können. Beim Großen Johanniswürmchen (Lampyris noctiluca) etwa können nur die Weibchen leuchten, während
bei dem Kleinen Johanniswürmchen (Lampyris splendidula) beide Geschlechter zur Biolumineszenz fähig sind.
Ihr Körper besteht aus drei Segmenten (Kopf, Körper, Rumpf) und wird mit 18 Millimeter etwas kleiner als eine Büroklammer. Die Larven sind deutlich größer und können bis zu 50 Millimeter messen.
Aber warum macht es das? Warum blinkt und strahlt das Insekt? Doch sicher nicht, damit wir Menschen darüber Gedichte schreiben? Für Glühwürmchen ist ihre körpereigene Lampe lebenswichtig: Sex, Fressen, Nicht-Gefressen-Werden – für all das nutzen Glühwürmchen ihr Strahlen.
Tropische Glühwürmchen-Larven leuchten etwa, um Kröten zu signalisieren, dass sie überhaupt nicht schmackhaft sind, oder um Beute in ihre Netze zu locken, wobei sie das Leuchten weniger Energie kostet, als jede andere Strategie, über die sie an Beute gelangen würden.
Zur Partnersuche und bei der Fortpflanzung ist es ebenso unerlässlich, als Glühwürmchen im rechten Licht zu stehen. Glühwürmchen-Käfer leuchten nicht einfach irgendwie, sondern nach einem artspezifischen Muster, an dem sich Weibchen und Männchen erkennen. Mit Signallänge und Rhythmus morsen die Käfer ihre Balzbotschaften nachts durch Wald und Wiese.
Doch je nach Art und Lebensraum flirten Glühwürmchen unterschiedlich: Amerikanische Leuchtkäfer-Männchen (Photinus pyralis) blinken kräftig und warten, bis das Weibchen antwortet.
Bei tropischen Arten synchronisieren alle Käfer ihr Leuchten, sodass ganze Waldränder im gleichen Takt blinken.
Andere Glühwürmchen-Männer setzen im Liebesrausch sogar ihr Leben aufs Spiel. Die Weibchen der tropischen Gattung Photuris ahmen die Signale der Photinus-Weibchen nach und locken so Photinus-Männchen mit freudiger Erwartung auf ein paarungswilliges Weibchen an. Anstatt Sex zu bekommen, werden sie von den Photuris-Weibchen verspeist.
Glühwürmchen sind überhaupt sehr unerschrockene Zeitgenossen. Während wir Menschen das Schneckenessen dem Klischee entsprechend den Franzosen überlassen, gibt es für heimische Glühwürmchen-Larven nichts Schmackhafteres als eine schleimig-glitschige Schnecke, die sie mit einem einzigen Gift-Biss außer Gefecht setzen.
Die kleinen Leuchtkäfer nutzen jede Nacht, als wäre es ihre letzte. Sie strahlen aus sich heraus mit voller Kraft und sind dabei auch noch romantisch: Denn ausgewachsene Käfer fressen nichts. Sie leben von Luft und Liebe. Und ihren Fettreserven. Bis das Licht ausgeht.
Weibchen stirbt nach Eiablage.
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