Acidum formicicum e formica
rufa
[Gawlik]
Die aus dem Sekret der Ameisen gewonnene Ameisensäure Acidum formicicum e formica rufa, meist als »Secretum formicicum« oder »Acidum formicae« rezeptiert, wirkt wesentlich besser als die chemisch reine,
synthetische Ameisensäure HCOOH. Auch in der Brennnessel enthalten.
Mezger: Acidum formicicum
ist im Gegensatz zu Acidumformicicum e formica rufa auch ein
Konstitutionsmittel.
Ameisen werden in der Bibel wegen ihres Fleißes erwähnt. Schon in
früher Zeit glaubte man auch an ihre Fähigkeit, Witterung und Hungersnöte
voraussagen zu können.
Antike: Gicht, Rheuma, Hautkrankheiten und als Abortivmittel verwendet.
Die auffallende Emsigkeit der Tiere erinnert an die ununterbrochene
Sangeslust der Zikaden. Von deren Entstehung kündet ein in Platos »Phaidron« überlieferter Mythos, den Sokrates seinem jungen Freund
Phaidros erzählt.
Vor langer Zeit hätten Menschen gelebt, die keinerlei Kenntnis von
Musik und Gesang hatten, aber nach der Geburt der Musen zu deren Propheten
wurden: Von Sangeslust überwältigt, vergaßen sie
über dem Singen, Nahrung zu sich zu nehmen, und endeten so ihr Leben,
ohne es zu bemerken. So entstand das Geschlecht der Zikaden, die von den Musen
damit beschenkt wurden, keinerlei Nahrung zu bedürfen und gleich
nach der Geburt bis zum Lebensende ununterbrochen singen zu können.
Dieser mythologischen Erklärung über die Entstehung der Zikaden
entspricht eine Sage über die Ameisen, die ebenfalls auf die - hier allerdings
völlig anders intendierte - Neigung des Menschen verweist, sich entsprechenden
Gegebenheiten ganz und gar hin- und dabei aufzugeben.
Als nach den Musenkindern die Arbeit in die Welt kam, wurden manche
Menschen von so großer Arbeitslust gepackt und berauscht, dass sie vergaßen,
sich zu ernähren, und schließlich völlig ausgezehrt starben.
Aus diesen griechischen »ergobakcheuontes«,
in unserer Zeit »workaholic« genannten Menschen ging
das Geschlecht der Ameisen hervor, das die Musen damit beschenkten, ohne den
Genuss jeglicher Künste unaufhörlich
arbeiten zu können. Die beschriebenen, wahrheitsweisenden
Mythen erlauben eine Zuordnung menschlicher Gruppierungen:
In dem weiten Spektrum zwischen zikadenseligen Grillen, den »Musaholics«, die »Grillen im Kopf« haben,
und den amusischen (griech. amusoi), ameisenfleißigen »Worcaholics«
finden sich die Menschen, die weder Zikaden noch Ameisen geworden sind.
Geschichte
In alten Kräuterbüchern, besonders der Alpenregion, finden wir Hinweise
darauf, dass Bergsteiger bei großer Anstrengung, die gelegentlich zu Atemnot
mit verschlossener Nase führt, mit der Hand auf Ameisenhaufen klopfen,
um dann die von den Ameisen ausgespritzte Ameisensäure einzuatmen.
Innerhalb von Sekunden kommt es zu völlig freier Nasenatmung, so dass die
Bergtour fortgesetzt werden kann. Während meiner Gefangenschaft habe
ich erlebt, dass sich russische Soldaten bei hartnäckigem Ischias und
akuter Lumgabo nackt in einen Ameisenhaufen setzten,
eine Zeitlang laut jammerten, dann aufsprangen, sich weiterhin wegen des
Brennens beklagten,
nach ein bis zwei Stunden jedoch wieder völlig beschwerdefrei waren.
Die gewöhnliche Waldameise, Formica rufa, ist für den Menschen ein harmloses Insekt. Sie sticht
nicht, ihr Stechapparat ist vielmehr ein Rudiment; anders aggressive Arten der
Ameisen machen indes noch Gebrauch von
ihrem kräftigen Stachel. Unsere Formica rufa beißt, kann aber nur zarte Oberflächenschichten durchdringen
und nur sehr kleine Wunden verursachen. In diese spritzt das Insekt den sauren
Inhalt eines Säckchens, in das
tubuläre Giftdrüsen einmünden.
Wie bei den Bienen und Wespen verfügen auch bei den Ameisen nur die
Königinnen und die Arbeiter über einen Giftapparat. Das Gift der Formica rufa besteht
hauptsächlich aus Ameisensäure. Säuregehalt liegt zwischen
21 und 71 %, je nachdem, wo die Ameisen leben. Die Ameisensäure als
reine Säure kann bis zu 18% des gesamten Köpergewichts betragen.
Außer bei den oben genannten akuten Ischias oder Lumbagobeschwerden
wurde Ameisensäure jahrhundertelang als
Ameisenspiritus bei Lähmungen, Rheumatismus und bestimmten Leiden eingerieben
und als Badezusatz empfohlen. Auch heute wird sie häufig angewendet. Bei reiner
Säure treten die entsprechenden Hautreaktionen auf, so in wechselnder Stärke
erscheinende Erytheme und Juckreiz.
Das Arzneimittel Formica rufa
enthält auch die Sekrete weiterer Drüsen, eigenartige Terpenoide,
die sehr viel Ähnlichkeit mit Caritharidin haben, sowie
Iridomyrmecin. Formica rufa und Acidium formicicum wirken
verschieden. Hier ist daran zu erinnern, dass der menschliche Körper
regelmäßig etwa 30 mg Ameisensäure pro Tag im Urin ausscheidet. In der Leber,
in der Niere kann sie oxydiert werden. Im intermediären Stoffwechsel
dient die Ameisensäure in Gegenwart von Folinsäure
zur Synthese gewisser Aminosäuren, z. B. Serin aus Glycin, und von Purinen. Die oben
erwähnten Hauterscheinungen sind bei dieser Säure
üblich. Dies gilt auch
für den örtlichen Schmerz und die Hyperämie,
die nach Injektion von selbst verdünnter Ameisensäure auftreten.
Arzneiprüfungen mit Ameisensäure in D3 bis D6 sind mit subkutanen
Injektionen an zehn Versuchspersonen durchgeführt worden. Dabei finden sich
Symptome meist an Muskeln des Rumpfes, der Arme, der Beine,
der Gelenke sowie bei Neuralgien. Jedoch sind wenige Modalitäten
vermerkt. Beschrieben werden Erscheinungen wie Einschlafgefühl, gelegentliche
Müdigkeit in den Schenkeln, aber kein Einfluss von Ruhe, Bewegung,
Kälte oder Wärme. Außerdem treten bei den Ameisensäureprüfungen
allergische Zustände auf, von urtikariellen
Erscheinungen bis zu heufieberähnlichen Zuständen und Bronchialasthma. Weiter
werden ein
eigenartiger Körpergeruch, stark riechender Schweiß und stark riechender
Urin beschrieben.
Weitere Arzneimittelprüfungen zeigten, dass fast alle Prüfer
rheumatische Beschwerden in den Gliedmaßen, verbunden mit lähmendem Gefühl und
einer außerordentlichen Müdigkeit, in den Vordergrund stellten.
Manche schwitzten auch dabei oder hatten Hauterscheinungen.
Bei spastischen Bronchitikern kam es auch zu
Asthma.
Wirkung: antimykotisch und antibiotisch,
Acidum formicicum e formica
rufa zusätzlich antitoxisch.
Es handelt sich um Patienten mit starker allergischer Diathese, die zu
Gicht und rheumatischer Konstitution neigen. Gelegentlich leiden sie schon in
der Jugend an Arthritiden, Neuralgien, Muskelrheumatismus und Ischias. Klimakterische Arthropathien, Arthrosis deformans sind weitere
Symptome. Vordergründiger als diese rheumatischen Diathesen sind die
Erkrankungen der Schleimhäute und Drüsen. Alle Formen der exsudativen
Diathese,
wie Milchschorf der Kinder, Intertrigo, Ekzeme und Urtikaria,
chronisch wiederkehrende Katarrhe, Neigung zu Schleimhaut-/Mandelentzündungen,
Drüsenschwellungen bis zu allergischen Erkrankungen und Bronchialasthma.
Es ist ein sehr wertvolles Mittel beim kindlichen Bronchialasthma, bei
der Urtikaria sowie bei Schleimhauterscheinungen
am Magen, bei Hyperazidität, gelegentlich auch bei
Magengeschwüren und Zysten. Diese Patienten
sind sehr empfindlich gegen Kälte und Nässe.
< Bettwärme.
Deutliche Schmerzen werden bei Bewegungen empfunden.
Wie alle Säuren fühlt sich der Patient jedoch in einer gewissen
Zwangssituation, die ihn dazu veranlasst, sich dennoch dauernd zu bewegen.
Nach der Arzneimittelprüfung leiden alle in der Homöopathie üblichen
Säuren unter Ängsten, Schwächen, Zwängen, Schweißen. Weiterhin sind die
rheumatischen und sonstigen, auch allergischen Beschwerden begleitet von
starker Müdigkeit, sogar großer Schlappheit bis zur Ohnmacht.
Warme Schweiße bringen keine Erleichterung. Neben dem äußerst starken
Bewegungsdrang ist der Patient von der typischen Angst bestimmt, es könnte
Unheil geschehen. Müdigkeit und Schlappheit bewirken eine deutliche körperliche
und geistige Leistungsunfähigkeit. Die Menschen leben dabei immer auch in der
Angst, an einer schlimmen Krankheit zu leiden, auch wenn sie nur eine (vor
kurzer Zeit) Urtikaria aufweisen.
Diese ängstlichen, meist schwitzenden, äußerst schwachen Patienten
erinnern mit dem eigenartigen Bewegungszwang, der sie nicht ruhig auf einem
Stuhl sitzen läßt, an Tarantula.
In meiner Praxis waren das jene Patienten,
die gerade im Frühling an akuten und schweren Heuschnupfenzustanden,
gravierenden urtikariellen Erscheinungen, aber auch Asthmaerscheinungen litten, schon im Wartezimmer sehr
unruhig hinund herliefen, teils aus Angst,
es konne etwas passieren, teils aus dem Zwang
heraus, sich bewegen zu mussen. Dabei hatten sie
warme Schweise im Gesicht und waren so mude, dass sie am liebsten geschlafen hatten, was der
Bewegungszwang
wiederum nicht erlaubte.
Bei diesen Patienten brachte Acidum formicicum, in der D30 bis C200 i. v. injiziert, immer
wieder eine kurze Zeit wirksame positive Entspannung; die Beschwerden gingen
deutlich zuruck.
Mit Formica rufa in
gleicher Potenz oder ahnlicher Gabe hatte ich dabei
keinen Erfolg. Formica rufa
wirkt somit eher antiphlogistisch, wahrend Acidum formicicum eine in der
Praxis deutlich sichtbare histaminahnliche
Wirkung hat, ohne noch starker mude zu
machen. Bei Kindern ist Acidum formicicum
gerade um die Potenz C30 auserst wirksam, auch oral.
Es kann mitunter die von Angst gepragte
Spannungssituation bei Heuschnupfen
und Heuasthma deutlich vermindern und auch die Krampf-zustande
deutlich losen.
Arzneimittelbild:
plotzlich auftretende Sensationen,
Schmerzen, Juckreiz, Urtikaria, spastische
Bronchitis, allergisches Asthma
Gelegentlich plotzlich
auftretende rheumatische Beschwerden. Dabei handelt es sich um allergische und hyperergische Haut- und Schleimhauterkrankungen, seltener
um gelenkrheumatische Erkrankungen, außer bei
Kindern.
Modalitaten:
>: Warme und Druck; <:
Kalte, Nasse und Bettwarme; durch Bewegung. Obwohl diese mehr Schmerzen verursacht,
erzeugt ein Bewegungszwang Unruhe.
allergische Erscheinungen der Haut und Schleimhaute,
wie Urtikaria, Heuschnupfen, Heuasthma, spastische Bronchitits
starker Juckreiz
seltener: rheumatischer Formenkreis (hier besser: Formica
rufa!)
Vorwort/Suchen Zeichen/Abkürzungen Impressum